Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen
T. Iff / Februar 2013
Allgemeine Massnahmen
Auch beim Kind sind eine ausführliche Anamnese sowie eine allgemeine und neurologische Untersuchung die wichtigsten Elemente der Diagnostik. Die diagnostischen Kriterien der Kopfschmerzen wurden in der 2. Internationalen Kopfschmerzklassifikation auch ans Kindesalter adaptiert. Die Mehrzahl der Kinder haben entweder eine Migräne, Spannungskopfschmerzen oder Mischformen dieser zwei. Die Migräne mit Aura ist im Schulalter selten und wird meist erst im Verlauf der Adoleszenz manifest, eine starke familiäre Prädisposition spielt hier noch eine dominantere Rolle als bei der einfachen Migräne.
Bildgebende Verfahren sind nur indiziert, wenn die Anamnese für primäre Kopfschmerzen ungewöhnlich ist und Hinweise für „gefährliche“ Kopfschmerzen beinhaltet und/oder die neurologische Untersuchung nicht normal ist. Die Angst der Eltern vor einem Hirntumor kann bei primären Kopfschmerzen durch gute Aufklärung abgebaut werden.
Ein Kopfwehtagebuch - inkl. Zykluskalender bei Adoleszentinnen - ist aus diagnostischen Gründen und zur Therapieüberwachung wichtig.
“Kopfschmerzhygienische“ Massnahmen im Alltag sind wichtig und gerade im Kindesalter hilfreich: regelmässige Mahlzeiten (gezielt auch vor sportlicher Aktivität), eine ausreichende Trinkmenge, Verzicht auf regelmässige Koffeingetränke (Cola, Red Bull, Eistee), und eine ausreichende Schlafmenge. Überbelastungssituationen durch Überforderung in der Schule oder ein Überangebot an Freizeit sind abzuklären.
Behandlungsempfehlungen
Die Behandlung muss die verschiedenen Kopfschmerzformen und die Unterschiede des Verlaufs der Migräne-Anfälle beim Kind berücksichtigen.
1. Migräne Akutbehandlung
Bei Kindern im Vorschul- oder frühen Schulalter ist das „Ausschlafen“ einer kurzen Migräneattacke häufig ohne Medikamente wirksam. Bei älteren Kindern und Adoleszenten werden bei längerdauernden (>1/2-1Std.) und/oder schwereren Attacken häufig neben der Schonhaltung und Reizabschirmung Akutmedikamente benötigt, möglichst frühzeitig im Attackenablauf anzuwenden.
Analgetika/NSAR:
1 | Paracetamol (inkl. Suppositorien, lingual) | 15 mg/kg KG/Dosis | max. alle 5-6 |
2 | Ibuprofen (Tabletten und Sirup) | 5-10 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. |
3 | Mefenaminsäure | 5-(10) mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. |
4 | Acetylsalicylsäure (erst ab 12 Jahren!) | 10 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6-8 Std. |
Triptane:
Bei Jugendlichen über 12 Jahren mit ungenügendem Ansprechen auf diese Analgetika ist in der Schweiz nur Sumatriptan 10 oder 20 mg Nasenspray als einziges Triptanpräparat zugelassen.
Sumatriptan (ab 12 Jahren)
Nasenspray (NS) 10 mg < 40 kg KG
NS 20 mg > 40 kg Körpergewicht (=KG) (max. 40 mg/24 Std.)
Antiemetika: (bei Übelkeit mit den Akutmedikamenten verabreicht)
Domperidon | Suspension | 0.25 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. |
Suppositorien | 1 mg/kg KG/Dosis | max. alle 6 Std. | |
Lingual | 10 mg | > 35 kg KG max. alle 12 Std. |
2. Migräne Langzeitprophylaxe
Selten indiziert: bei unwirksamer Attackentherapie und/oder häufiger Beeinträchtigung (3-4 mittel- bis starke Attacken mit Schul- /Freizeitausfällen/Monat), mehrheitlich im Adoleszentenalter.
Evidenzbasiert am besten wirksam bei Kindern und Jugendlichen:
Flunarizin | 1-2 Tbl. à 5 mg/Tag | Cave: depressive Verstimmung möglich, Gewichtszunahme und Somnolenz häufig (abendliche Gabe!). |
Bei Patienten mit Übergewicht auf Grund des Nebenwirkungsprofils (Appetitminderung):
Topiramat | 50-max. 100 mg/Tag | Cave: bei höherer Dosierung neurokognitive Nebenwirkungen! |
Weitere Möglichkeiten (weniger evidenzbasiert, aber häufig wegen besserer Verträglichkeit an erster Stelle verwendet):
Magnesium | 9mg/kg KG/Tag = 0.37 mmol/kg KG/Tag in 2-3 Einzeldosen (ED) |
Riboflavin | 200-300 (max. 400) mg/Tag in 2 ED |
Bei zu häufiger Akutmedikamenteneinnahme (>10 Behandlungstage/Monat an > 3 Monaten) kann selten auch bei Kindern und gelegentlich bei Jugendlichen ein Medikamentenüberkonsum-Kopfschmerz beobachtet werden.
3. Migräne bei der Adoleszentin
An die Möglichkeit einer menstruationsassoziierten Migräne ist zu denken. Eine hormonelle Behandlung sollte dem Kopfschmerzspezialisten und spezialisierten, endokrinologischen Gynäkologen überlassen werden.
4. Spannungskopfschmerzen
Bei vielen Kindern sollten in erster Linie die zur „Spannung“ führenden Ursachen (am häufigsten belastende Schul- oder Familiensituationen) zur Verbesserung der Kopfschmerzen verändert werden, was aber schwierig sein kann. Aus diesem Grund kommt spannungsvermindernden Massnahmen eine wichtige Bedeutung zu: häufig kann ein regelmässiger Lebensrhythmus mit ausreichend Schlaf und regelmässiger körperlicher Aktivität im Freien im Schulalter bereits helfen. Die bei der Migräneattacke verwendeten Schmerzmittel sollten hier zurückhaltend und nur bei mittelstarker Schmerzintensität eingesetzt werden. Entspannungsmethoden wie z. B. autogenes Training, Relaxationstherapie nach Jacobson, Biofeedbackmethoden, Verhaltenstherapien sowie komplementärmedizinische Massnahmen können einen positiven Effekt auf die Kopfschmerzen haben, wobei für die meisten dieser Methoden der evidenzbasierte Wirkungsnachweis im Kindesalter nicht erbracht wurde. Auch Magnesium kann in der gleichen Dosierung wie bei der Migräne eingesetzt werden, wobei auch dafür nur wenige Studien existieren.
5. Chronische sowie chronisch-tägliche Kopfschmerzen
Diese ursächlich häufig ungenau definierten und insbesondere bei Jugendlichen vorkommenden Kopfschmerzen sind therapeutisch idR. schwierig anzugehen und bedürfen erfahrungsgemäss einer Betreuung durch einen Kopfschmerzspezialisten.